Die Poetik der Materie. Die Sprache von Sabine Marcelis

08/04/2025 - Materie in eine neue visuelle Sprache verwandeln. Mit einer für sie typischen Experimentierfreudigkeit mischt Sabine Marcelis, eine der Protagonisten auf dem Cover des Archiproducts Guide to Milan Design Week 2025, Materialien, Techniken und Konzepte und untersucht, was aus der Begegnung zwischen Oberfläche und Farbe, Licht und Form entsteht.  Die in den Niederlanden geborene und in Neuseeland aufgewachsene Marcelis hat eine Designsprache entwickelt, die sich jeder Definition entzieht. Nach ihrer Ausbildung an der Design Academy Eindhoven eröffnete sie 2011 ihr eigenes Studio in Rotterdam und begann eine Reise, auf der sie mit einigen der größten Namen in den Bereichen Design, Mode, Architektur und Kunst zusammengearbeitet hat.  Die Besonderheit von Marcelis' Arbeit liegt in ihrer Fähigkeit, aus Materialien, die normalerweise als kalt gelten, neue Wahrnehmungen herauszuholen. Glas, Metall, Kunststoff werden in ihren Händen zu erzählerischen Werkzeugen und offenbaren eine Poetik der Materie, die jede Substanz in eine visuelle Erzählung verwandelt. Ihr Werk vermittelt das Bild einer Designerin, die in ständigem Dialog mit der Welt des Designs steht und in der Lage ist, Farbpaletten, Licht und Transparenzen zu manipulieren und jedes Objekt in eine klare Synthese aus Form und Nutzen zu verwandeln.

Dieser Ansatz findet eine seiner wichtigsten Anwendungen in einer Reihe von Projekten, darunter eines mit dem Vitra Design Museum, wo sie die Vitra Schaudepot-Sammlung revolutionierte, indem sie die Objekte nicht nach Funktion, nicht nach Alter, sondern nach Farbe ordnete. Mit cc-tapis brachte sie die Idee der malerischen Geste in die Welt der Teppiche, indem sie die fließende Bewegung eines Pinsels in eine Welle aus Wolle, Fasern und Pigmenten übersetzen ließ. Mit IKEA hat sie das Konzept der Haushaltsbeleuchtung in Frage gestellt: Die Kollektion VARMBLIXT besteht nicht nur aus Leuchten, sondern aus Leuchtkörpern, die wie Skulpturen im Raum existieren. Mit den Lokum-Tischen von Acerbis hat Marcelis mundgeblasenes Glas Formen verliehen, die zwischen Realität und Illusion zu schweben scheinen und mit der Transparenz spielen, wie ein Maler mit den Schatten. Mit BD Barcelona schließlich stellt sie ihre persönliche Vision eines leichten, vielseitigen, stapelbaren Sitzes aus 100 % Aluminium vor, der für die Räume des Stedelijk Museums in Amsterdam entworfen wurde.
Neben dem Industriedesign ist eines ihrer bedeutendsten Projekte „No Fear of Glass“, das im Mies van der Rohe Pavillon in Barcelona präsentiert wurde. Hier interpretiert Marcelis das Glas - das symbolische Material der modernen Architektur - neu, indem sie seine Ausdruckskraft voll ausschöpft. Mailand ist wieder einmal das Zentrum der Designwelt, und inmitten seiner geschichtsträchtigen und kreativen Räume ist die niederländische Designerin Stimme einer anderen Vision. Mit Blick auf neue Kooperationen spricht Marcelis in einem Interview mit Archiproducts über ihre persönliche Sicht auf das heutige Design. 
Der Salone del Mobile ist ein Katalysator für Ideen und Innovationen. Was ist Ihr diesjähriger Beitrag?
Auf dem Salone del Mobile präsentiere ich normalerweise Installationsprojekte, aber dieses Jahr stelle ich auch Produkte vor! Dazu gehören mein erstes Sofa, das ich für La Cividina entworfen habe, die farbenfrohen Versionen des Stedelijk-Stuhls, den ich kürzlich für BD Barcelona entworfen habe, und zwei besonders experimentelle Projekte: eine Leuchte für Hydro, die aus einem einzigen Aluminium-Strangpressprofil besteht und in einem Umkreis von 100 km entworfen und hergestellt wird, und schließlich ein Topf, der den Anbau von aromatischen Kräutern und essbaren Pflanzen in der Wohnung fördern soll und in Zusammenarbeit mit XL Extralight entstanden ist.
Was ist das wichtigste Ereignis der Mailänder Designwoche?
Die Capsule Plaza im Spazio Maiocchi, die dieses Jahr zum dritten Mal auf der Mailänder Designwoche stattfindet und auf der Marken außergewöhnliche Projekte präsentieren. Darunter auch meine Projekte, die ich für Hydro und XL Extralight entworfen habe.

Ihr Lieblingsort in Mailand: ein Restaurant, ein Denkmal oder ein besonderer Ort.
Der Hangar Bicocca ist ein Ort, den ich immer wieder aufsuche, unabhängig davon, was dort ausgestellt wird. Die Weite der Räume verleiht ihm eine einzigartige Atmosphäre, die jede künstlerische Erfahrung in etwas Außergewöhnliches verwandelt.
Design ist ein Motor des Wandels. Wie verändert es unsere heutigen Gewohnheiten?
Das ist eine sehr komplexe Frage! Zu umfangreich, um sie umfassend zu beantworten, ohne ein ganzes Buch zu schreiben. Aber wir können sagen, dass zum Beispiel das Telefon eines der einflussreichsten Werkzeuge ist, das unsere täglichen Gewohnheiten verändert. Ein aktuelles Projekt, das für Sie ein gutes Beispiel für Design als Motor des Wandels ist.
Ich persönlich konzentriere mich darauf, Technologie diskret in meine Entwürfe zu integrieren, indem ich innovative Lösungen wie in Materialien eingebettete Solarzellen verwende, ohne dabei die Ästhetik zu beeinträchtigen. Der von mir entworfene Meridian, der auf der Art D'Égypte ausgestellt wurde, war das erste Beispiel für die Anwendung dieser Technologie in einem öffentlichen Raum: Er lud sich tagsüber auf und versorgte dann nachts die Beleuchtung. Sie wurde zu einer echten netzunabhängigen Installation, und ich bin fest davon überzeugt, dass dies die Zukunft der öffentlichen Kunst darstellt.
Verändert künstliche Intelligenz die Rolle des Designers?
Heutzutage ist die Forschung wesentlich einfacher geworden, und das ist etwas, das ich zu schätzen weiß. Künstliche Intelligenz sollte als Werkzeug betrachtet werden, nicht nur als Generator. Gutes, intelligentes Design basiert auf einem tiefgreifenden Verständnis von Materialien und Prozessen und nicht nur auf der Schaffung von Bildern, die ins Auge fallen.
Welches ist Ihr „Herzensobjekt“ unter den Objekten, die Sie bisher entworfen haben?
Als Antwort möchte ich einen Springbrunnen nennen, den ich für meine Einzelausstellung im Mies van der Rohe Pavillon in Barcelona entworfen habe. Es war ein Projekt, das die Grenzen von Materialien und Produktionsverfahren bis zum Äußersten ausreizte und dessen Realisierung äußerst komplex war. Deshalb war es umso erfreulicher zu sehen, wie es in einem so ikonischen Kontext zum Leben erweckt wurde und perfekt funktionierte.
Was darf in Ihrem Atelier nicht fehlen?
Natürliches Licht! Mein Atelier hat fantastische Fenster, und wenn die Sonne scheint, ist der Raum lichtdurchflutet und eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Es wäre großartig, wenn jeder Tag ein Sonnentag wäre!
Von welchen Ablenkungen würden Sie sich gerne befreien, um Ihrer Rolle als Designer gerecht werden zu können?
Über meine Arbeit zu schreiben, anstatt sich nur auf ihre Gestaltung zu konzentrieren :D!

Drei Worte, um das Design der letzten 25 Jahre zu beschreiben.
„Mehr ist mehr“ (und das ist nicht unbedingt etwas Gutes...)